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Ultra-kompakte Teilchenbeschleuniger: Wissenschaftlicher Durchbruch eröffnet neue Wege für Medizin und Forschung

Künftige Table-Top-Röntgenquellen im Mikro-Format können Mammographie, Medikamentenforschung und Materialprüfung revolutionieren

Wissenschaftler der Universität Liverpool unter Leitung von Professor Carsten Welsch haben einen bahnbrechenden Ansatz entwickelt, der mikroskopische Röhrchen in miniaturisierte Teilchenbeschleuniger verwandelt. Detaillierte Simulationen zeigen, dass diese Technologie helle, kohärente Röntgenstrahlung in einem System von nur wenigen Mikrometern Größe erzeugen kann – vergleichbar mit kilometerlangen Großforschungsanlagen. Damit könnten künftig Universitäten und Kliniken eigene kompakte Röntgenquellen betreiben, statt monatelang auf Messzeiten an Synchrotron-Anlagen zu warten. Mögliche praktische Anwendungen reichen von Brustkrebs-Früherkennung über Medikamentenforschung bis zur Halbleiter-Qualitätskontrolle. Die Ergebnisse der Studie wurden soeben zur Veröffentlichung in Physical Review Letters akzeptiert und im Rahmen des derzeit am Cockcroft Institute der Universität Liverpool stattfindenden NanoAc Workshops 2025 internationalen Expertinnen und Experten präsentiert.

Vom Lichtwirbel zum Teilchenbeschleuniger

Das Funktionsprinzip basiert auf Oberflächenplasmon-Polariton-Wellen: Ein zirkular polarisierter Laserpuls dringt in ein Mikrometer-Röhrchen ein und haftet an dessen Innenwand. „Das Licht bildet ein starkes, rotierendes elektromagnetisches Feld – wie einen leuchtenden Wirbel, der Elektronen erfasst und auf eine spiralförmige Korkenzieher-Bahn zwingt“, erklärt Professor Welsch. Da sich die Elektronen synchron bewegen, senden sie ihre Strahlung kohärent ab – ein Phänomen der verallgemeinerten Superradianz. Die Strahlungsintensität wird dadurch um bis zu zwei Größenordnungen verstärkt.

Prof. Carsten Welsch © QuasarGroup
Prof. Carsten Welsch © QuasarGroup

Von Dr. Bifeng Lei, einem Mitarbeiter in Professor Welschs QUASAR-Gruppe (Quantum Systems and advanced Accelerator Research), durchgeführte 3D-Simulationen demonstrieren enorme Beschleunigungsgradienten von mehreren Teravolt pro Meter. Derart hohe Gradienten können mit keiner anderen Methode realisiert werden. Das System kann Röntgenstrahlung im Energiebereich von mehreren Kiloelektronenvolt erzeugen, woraus sich vielzählige Anwendungsmöglichkeiten ergeben.

Illustration ultrakompakter Beschleuniger © B. Lei, Universität Liverpool
Illustration ultrakompakter Beschleuniger © B. Lei, Universität Liverpool

Kohlenstoff-Nanoröhrchen als Schlüsselmaterial

Für die praktische Umsetzung setzen die Forscher auf Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNTs), das sind winzige Röhren aus Kohlenstoff-Atomen, die zu „Wäldern“ zusammenwachsen können. „CNT-Materialien können elektrische Felder von mehreren hundert Teravolt pro Meter aushalten – millionenfach stärker als die Felder im Large Hadron Collider am CERN“, betont Professor Welsch. Die vertikale Ausrichtung von CNT-Wäldern ermöglicht hohle Mikrostrukturen mit präzisen Innendurchmessern im Mikrometerbereich.

Das Entscheidende bei dieser neuen Technologie: Das Laserlicht muss sich drehen wie ein Korkenzieher (zirkular polarisiert). Nur dann passt es perfekt zur rotierenden Welle an der Röhrchen-Innenwand – wie ein Schlüssel ins Schloss. Das macht das System 1.000-mal effizienter als frühere Ansätze mit normalem Laserlicht. „Es ist ein Schlüssel-Schloss-Prinzip auf quantenmechanischer Ebene“, so Welsch.

Table-Top-Technologie demokratisiert Zugang zu Spitzentechnologie

„Diese Entwicklung demokratisiert den Zugang zu leistungsstarken Strahlungsquellen“, erklärt Professor Welsch. „Kilometer-große Synchrotron-Anlagen sind nur an wenigen Orten weltweit verfügbar. Unsere Table-Top-Technologie könnte diese Leistung künftig in jedes gut ausgestattete Labor bringen.“

Die technischen Herausforderungen für die Herstellung der ultrakompakten Beschleuniger sind jedenfalls lösbar: Hochleistungs-Laser mit der nötigen Präzision gibt es bereits, Kohlenstoff-Nanoröhrchen lassen sich mit modernen Nanotechniken herstellen. Die ersten praktischen Experimente sind daher schon in Planung.

Künftige Anwendungsbereiche für ultrakompakte Beschleuniger

Neben Erkenntnissen für die Grundlagenforschung versprechen sich die Forscher auch einen konkreten Nutzen der neuen Technologie in folgenden Anwendungsbereichen:

  • Medizin: Bessere Brustkrebs-Erkennung durch hochauflösende Mammographie, Weichteil-Diagnostik ohne Kontrastmittel
  • Pharma-Industrie: Schnellere Entwicklung neuer Medikamente durch Protein-Strukturanalyse im eigenen Labor
  • Materialforschung: Untersuchung chemischer Reaktionen in Zeitlupe (Attosekunden-Bereich), zerstörungsfreie Qualitätskontrolle
  • Halbleiter-Industrie: Präzise Materialprüfung für Chip-Produktion

Sollte die experimentelle Umsetzung wie erwartet gelingen, könnte sich daraus in den nächsten Jahren eine neue Generation ultrakompakter Strahlungsquellen entwickeln – mit Potenzial für vielfältige Anwendungen in Wissenschaft, Medizin und Industrie.