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Diabetes und PAVK: Weiterhin unnötig hohe Amputationszahlen – nationaler Schulterschluss aller Gefäßgesellschaften mit „Call for Action“

Der „Call for Action“ und die empfohlenen ABC-Sofortmaßnahmen könnten über 50 Prozent aller Amputationen verhindern

Nach wie vor werden in Österreich bei Patienten mit Diabetes Mellitus und Peripherer Arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) – dem so genannten diabetischen Fuß-Syndrom – auf Grund unzureichender gefäßmedizinischer Versorgung zu viele Beine amputiert.

Die behandelnden medizinischen Fachgesellschaften, die Österreichische Gesellschaft für Gefäßchirurgie (ÖGG), die Österreichische Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (ÖGIR) sowie die Österreichische Gesellschaft für Internistische Angiologie (ÖGIA), wenden sich daher gemeinschaftlich im Rahmen einer Pressekonferenz mit einem „Call for Action“ an die Gesundheitspolitik und empfehlen zudem die „ABC-Sofortmaßnahmen“ für Patienten und Ärzte. Die Umsetzung dieser beiden Appelle vermag mehr als 50 Prozent der derzeitigen Amputationen zu verhindern.

„Die von allen drei Gesellschaften heute im Rahmen dieser Pressekonferenz präsentierten aktuellen Studien, neue pharmakologische Therapiemöglichkeiten und die neuen, soeben erschienenen Leitlinien in den USA zeigen sehr klar den Weg, den es zu gehen gilt“, fasst Gefäßmediziner Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner, Präsident der ÖGIA, zusammen.

Pressefoto ÖGIA Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner © Apa Fotoservice - Tanzer
Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner © Apa Fotoservice/Tanzer

„Call for Action“ zur PAVK-Strategieausarbeitung, Amputationsmeldepflicht, Leitlinien-Erstellung

Die Fachgesellschaften fordern daher, erstens, die Entwicklung einer Strategie mit konkreten Handlungsempfehlungen und Zielvorgaben seitens des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen, ähnlich der Ende März 2017 verabschiedeten Österreichischen Diabetes-Strategie. Zweitens, eine seitens des Ministeriums verordnete Meldepflicht für Amputationen mit der Erstellung eines Amputationsregisters. Und drittens, das Ausarbeiten von europäischen Leitlinien mit den jeweils national notwendigen Adaptionen in der Umsetzung.

ABC-Sofortmaßnahmen

Neben diesen langfristig nachhaltigen Schritten empfehlen die Fachgesellschaften die sogenannten „ABC-Maßnahmen“ für betroffene Patienten und behandelnde Ärzte:

A) Aufmerksamkeit: Wer beim Gehen oft stehenbleiben muss oder eine Wunde hat, die nicht heilt, soll zur Abklärung rasch einen Arzt aufsuchen!

B) Behandlung akut: Bei Verdacht auf ein Durchblutungsproblem bei Patienten mit Diabetes mellitus muss rasch abgeklärt und revaskularisiert werden!

C) Chronisch-konsequente medikamentöse Therapie: Die neuen wirksamen Substanzen sollen rasch für Patienten mit PAVK und Diabetes/Diabetischer Fuß verfügbar gemacht werden!

Moderne Gefäßchirurgie und nicht invasive Bildgebungsverfahren als Methode erster Wahl zur Wiederherstellung der Durchblutung

Das diabetische Fußsyndrom mit Ulcera und Gangrän ist bei etwa 50 Prozent der betroffenen Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) vergesellschaftet. Nicht invasive Bildgebungsverfahren wie die Duplexsonographie und die MR- und CT-Angiographie erlauben bei entsprechender Expertise und geeigneter gefäßmorphologischer Voraussetzung die endovaskuläre Behandlung zur Wiederherstellung eines direkten Blutflusses zum Fuß als Methode der ersten Wahl.

So liegt auch die Rolle der modernen Gefäßchirurgie bei diabetisch assoziierten Gefäßerkrankungen  vor allem in der Wiederherstellung der Durchblutung mit geeigneten Maßnahmen – wenn konservative  Therapien oder Kathetermaßnahmen nicht mehr ausreichen – sowie in der lokalen Kontrolle des Infektes. Nur bei irreversiblen Durchblutungsstörungen oder nicht therapierbaren Infekten muss das Bein amputiert werden, was zumeist nicht der Fall ist.

Die Gefäßerweiterungen erfolgen mittels Ballonkatheter oder einem Stent als Gefäßstütze. Neu sind medikamentenbeschichtete Ballonkatheter und Stents, welche die Proliferation der glatten Muskelzellen in der Gefäßwand hemmen sollen und dadurch eine längere Offenheit des behandelten Gefäßabschnittes erlauben.

Neue Wirkstoffe, Studien, Behandlungsempfehlungen

Am 18. März 2017 wurden auf dem Jahreskongress des American College of Cardiology in Washington neue PAVK-Behandlungsempfehlungen präsentiert. Sie fordern vor allem ein genaues Monitoring, Gehtraining und das Anwenden der medikamentösen PAVK-Basistherapie, die Betroffene derzeit zu 50-70 Prozent noch immer nicht erhalten.

Die Fachgesellschaften ÖGIA, ÖGG und ÖGIR präsentieren zudem drei aktuelle Studien, an denen auch österreichische Gefäßabteilungen mitwirkten:

  1. Die EMPA-REG-OUTCOME Studie: Die Studie untersuchte den Effekt eines Glucosuricums (Medikament, das erhöhten Zucker im Blut über den Harn ausscheidet) auf kardiovaskuläre Ereignisse mit einem eindrucksvollen Ergebnis: Der kardiovaskuläre Tod konnte um annähernd 40 Prozent gesenkt werden.
  2. Die EUCLID Studie: Die Studie untersuchte den Effekt von Ticagrelor versus Clopidogrel (zwei Plättchenfunktionshemmer). Die Daten zeigten, dass Ticagrelor gleichwertig zu Clopidogrel wirkt. Die ist deshalb sehr wertvoll, da es nicht nur bis zu 50 Prozent Aspirin-Versager gibt, die dann Clopidogrel benötigen, sondern auch bis zu 25 Prozent Clopidogrel-Versager, für die es bislang keine weitere Option gab.
  3. Die FOURIER Studie: Die Studie untersuchte die kardio-vaskuläre Wirksamkeit des Proprotein Convertase Subtilisin-Kexin Type 9 Inhibitors (PCSK9I) Evolocumab. Innerhalb von 2,2 Jahren kam es zu einer signifikanten Reduktion von Gefäßereignissen: Es konnte bei Patienten, die bereits eine cholesterinsenkende Therapie mit Statinen einnahmen, der Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod um 20 Prozent reduziert werden.
Pressebild ÖGIA PK 2017 Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner (Präsident der ÖGIA und des ÖVG), Ao. Univ.-Prof. Dr. Maria Schoder (Präsidentin der ÖGIA und des ÖVG) und Univ.-Prof. Dr. Thomas Hölzenbein (Präsident der ÖGG)
Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner (Präsident der ÖGIA und des ÖVG), Ao. Univ.-Prof. Dr. Maria Schoder (Präsidentin der ÖGIR) und Univ.-Prof. Dr. Thomas Hölzenbein (Präsident der ÖGG) © ÖGIA/APA-Fotoservice/Tanzer

In Summe lässt sich zusammenfassen, dass neue Behandlungsrichtlinien, neue Möglichkeiten der Revaskularisation sowohl chirurgisch als auch interventionell sowie neue, bessere Möglichkeiten der medikamentösen Therapie eine Aufbruchsstimmung mehr als rechtfertigen. Es lässt sich mit diesem Bündel das Versprechen der St. Vinzenz Deklaration einlösen, die Amputation bei Diabetes/PAVK um zumindest 50% zu vermindern.